Manifest für eine lebenswerte Stadtentwicklung

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Die Stadt Zürich ist von einem gewaltigen Veränderungsschub ergriffen. Wohnsiedlungen werden abgerissen, Hochhäuser schiessen in die Höhe, Tramlinien werden neu gezogen. Gute bestehende Wohnsubstanz in den Quartieren wird geopfert, um Gebäuden mit maximaler Ausnützung Platz zu machen. In den Aussenquartieren entstehen gesichtslose Wohnmaschinen. Innerstädtisches Grün geht zunehmend verloren. Der Mangel an Freiflächen ist offenkundig. Deswegen werden die bestehenden Grünräume übernutzt. All das hat grosse Auswirkungen auf das Stadtklima, beeinflussen doch Hitzeinseln und abnehmende Luftzirkulation die Lebensqualität negativ. Gerechtfertigt werden diese gewaltigen Veränderungen mit dem Schlagwort Verdichten.

Auslöser dieser Entwicklung ist ein Beschluss, dass die Stadt Zürich innert weniger Jahre um einen Viertel wachsen soll. 100 000 zusätzliche Einwohner*innen sind enorm viel. Es ist, wie wenn die ganze Stadt Winterthur nach Zürich umziehen müsste. Doch eine öffentliche Diskussion darüber gab es nie. Es sind Technokraten, die dieses Ziel festgelegt haben und es jetzt technokratisch umsetzen wollen. Die negativen Folgen für die Bevölkerung und für die Stadt zeigen sich jeden Tag deutlicher. Wenn der Trend so weitergeht, bedroht dies genau die Qualitäten, die Zürich zu einer der lebenswertesten Städte der Welt gemacht haben. Dies spüren immer mehr Einwohner*innen.

Zahlreiche von ihnen wollen diese verhängnisvolle Entwicklung nicht mehr länger hinnehmen. Sie haben sich deshalb zu einer «Allianz lebenswerte Stadtentwicklung» zusammengeschlossen. Vertreten sind die unterschiedlichsten Quartiere der Stadt, wo besonders gravierende Fehlentwicklungen drohen, aber auch Fachleute wie Raumplaner*innen, Urbanist*innen, Kulturschaffende und Architekt*innen. Gemeinsam ist allen Mitgliedern der Allianz die Sorge über die Masslosigkeit der offiziellen Stadtplanung und der Wunsch, die bisherige Lebensqualität von Zürich zu erhalten. «Sie sind nicht grundsätzlich gegen Veränderungen eingestellt. Sie wissen, dass sich lebendige Städte entwickeln können müssen, dass neue Bedürfnisse neue Antworten erfordern. Doch die Art und Weise, wie in Zürich heute verdichtet wird, muss kritisch hinterfragt werden.

Folgende Kernpunkte sind nach Meinung der «Allianz lebenswerte Stadtentwicklung» zentral, um wieder die Bedürfnisse der hier lebenden Zürcher*innen ins Zentrum der städtebaulichen Entwicklung zu stellen: 

  1. Kein Zahlenfetischismus
    Ein sklavisches Festhalten am Wachstumsziel von 100 000 zusätzlichen Bewohner*innen ist falsch. Das führt zu schlechten Lösungen und betonierten Fehlplanungen. Die städtische Bevölkerung hat ein Anrecht darauf, ihre Meinung zu diesen Plänen im Rahmen einer öffentlichen Debatte äussern zu können.
  2. Mehr Partizipation
    Verdichtung findet da statt, wo bereits Menschen leben. Diese sind vom Verdichtungsprozess betroffen und müssen deshalb in die Planung einbezogen werden. Bei den bisher als Partizipation verkauften Runden Tischen und Anhörungen handelt es sich um eine Scheinpartizipation, weil die Technokraten in den städtischen Ämtern nie wirklich auf die Forderungen der Betroffenen eingetreten sind.
  3. Besseres Zusammenleben
    Alle Projekte müssen so durchdacht sein, dass sie stimmige Nachbarschaften schaffen. Dazu sind von Anfang an ausreichende Reserven für Gemeinschaftsräume und kulturelle Einrichtungen einzuplanen.
  4. Mehr ans Klima denken
    Im jetzigen Verdichtungsprozess sind der Grünraum und das Klima sekundär. Das muss sich ändern. Das Bauen selbst sollte möglichst wenig zur Umweltbelastung beitragen. Deshalb ist die Wegwerf- und Neubaumentalität, die in Zürich vorherrscht, zu stoppen. Nutzbare Gebäude sollen wenn immer möglich erhalten bleiben und ergänzt werden. Es gilt, Hitzeinseln zu reduzieren. Ein möglichst geringer CO2-Austoss muss für die Planung und den Betrieb von neuen Gebäuden ein zentrales Kriterium sein. Bauformen mit höherer Umweltbelastung wie Hochhäuser sind zu vermeiden. Pendlerwege sind zu reduzieren. 
  5. Infrastrukturen rechtzeitig planen
    Heute hinkt die Planung der Infrastruktur wie Schulhäuser, Verkehrsanschliessung, Sportstätten, kulturelle Einrichtungen stets hinter der Bautätigkeit her. Der Planungsprozess muss umgekehrt verlaufen: Bevor gebaut wird, muss Klarheit hinsichtlich der notwendigen Infrastruktur herrschen.
  6. Wohnghettos vermeiden
    Die Aussenquartiere der Stadt leiden darunter, dass ohne Gesamtkonzept gesichtslose Siedlung neben gesichtslose Siedlung gestellt wird. Dieser Verödung ist durch mehr Nutzungsdurchmischung und mehr Möglichkeiten für Begegnungen entgegen zu wirken. Auch in innerstädtischen Quartieren ist die Durchmischung gefährdet, weil sich mancherorts nur noch Gutsituierte den angebotenen Wohnraum leisten können. Das Seefeld und neuerdings Zürich West stehen für diese unerwünschte Entwicklung.
  7. Weniger Hochhausbegeisterung in den städtischen Ämtern
    Die Technokraten der Stadtverwaltung sehen im Hochhaus eine ideale Möglichkeit zur Verdichtung. Fachleute halten diesen Ansatz für falsch. Es ist erwiesen, dass Blockrandbebauungen schonender mit der Stadtsubstanz umgehen und mit solchen Gebäuden bessere Verdichtungsergebnisse erzielt werden, dass so günstigere Wohnungen entstehen und dass ökologischer gebaut wird als mit Hochhäusern. Das planlose Erstellen von Hochhäusern ist aus städtebaulichen Gründen abzulehnen.
  8. Mehr Nutzungsflexibilität
    Die Corona-Krise zeigt, dass sich manche Aspekte unseres Lebens rasch und grundlegend ändern können. Neue Arbeitsformen wie Home-Office bedingen neue Wohn- und Lebensräume. Der Bedarf an Büroräumlichkeiten nimmt ab, jener an flexibel nutzbaren Wohnflächen nimmt zu. Die Stadtplanung muss das Denken in Wohneinheiten aufgeben zugunsten multifunktionaler Nutzungsmöglichkeiten.
  9. Es braucht mehr gemeinnützigen Wohnungsbau
    In der Gemeindeordnung steht, dass bis 2050 der Anteil gemeinnütziger Wohnungen ein Drittel betragen muss. Dieses Ziel muss für alle Planungen eine zentrale Bedeutung haben. Es muss nachgewiesen werden, dass mittels geeigneter Bauformen auch wirklich kostengünstige Wohnungen geschaffen werden. Hochhäuser etwa sind dafür ungeeignet, weil sie sich durch höhere Baukosten und tiefere Nutzungswerte auszeichnen.
  10. Grünräume erhalten und erweitern
    Die Grünraumfläche darf keinesfalls weiter reduziert werden. Sie sind unverzichtbarer Bestandteil der Lebensqualität dieser Stadt. Die zunehmende Übernutzung des Freiraums etwa rund um den See oder an der Limmat erfordert die Schaffung von Grünflächen – zusätzlich und durch Re-Naturierung. 

Die «Allianz lebenswerte Stadtentwicklung» will, dass die gegenwärtige Stadtplanung zum Thema einer öffentlichen Debatte wird. Sie wünscht, dass sich die Politik, die Exekutive und die Fachleute der Verwaltung daran beteiligen. Sie weiss, dass diese Debatte dringend ist, damit nicht irreparabler Schaden an der Lebensqualität der Stadt entsteht. Sie postuliert, dass das Tempo der Entwicklung gedrosselt wird, um mehr Zeit für die Suche nach besseren Lösungen zu erlauben. Sie fordert, dass Klimapolitik, Grünraumplanung und Erholungsräume ein höheres Gewicht in der Stadtentwicklung erhalten als bisher. 

Im Kern geht es der «Allianz lebenswerte Stadtentwicklung» um Eines: Sie kämpft dafür, dass Zürich lebenswert bleibt.